Monday, September 1, 2008

Neulich beim Tauchen

Ankunft
Alles war soweit glatt gelaufen. Der Flug von Newark ueber Miami war ausnahmsweise einmal puenktlich, der Weiterflug nach Cozumel etwa zwei Stunden spaeter verlief ebenfalls ohne erwaehnenswerte Zwischenfaelle. Die Weiterfahrt vom kleinen Inselflughafen bis zum Resort im aeussersten Suedwesten des Eilandes dauerte gerade mal eine halbe Stunde, und eine ganze Armada von Hotelpersonal hiess uns herzlich willkommen am Eingang des fuenf Sterne-Komplexes. Rebecca und ich inspizierten zunaechst einmal die weitraeumige Anlage nach dem ueblichen einchecken, Koffertransport, zum zehnten oder elften Male “Bienvenidos a Mexico” usw. Hier musste man sich einfach wohl fuehlen. Aufbau und Layout der Anlage erinnerten unweigerlich an das Gallierdoerfchen von Asterix und Obelix, das den Roemern unter Julius Caesar in zahlreichen Scharmuetzeln und mittlerweile unzaehligen Comic-Abenteuern die Stirn bietet. Das wir einem obelix-aehnlichen Krieger aus einer dem Gallierdorf aehnlichen Region, naemlich aus Gelsenkirchen, schon kurze Zeit spaeter begegnen wuerden, konnten wir bis dahin natuerlich noch nicht ahnen. Die mit Palmwedel gedeckten kleinen Huetten, maximal zweistoeckig und fuer jeweils vier Parteien konstruiert, waren alle mit einer kleinen Holzveranda versehen. Darauf standen jeweils ein kleiner Tisch und zwei Stuehle, und eine Haengematte war geschickt verknotet zwischen einem Wandhaken und einem der Veranda-Holzpfeiler. Zwischen den Huetten hatte man entweder die zahllosen Dschungel- und Schlingpflanzen einfach belassen, oder irgendwelche Farne, Palmen und Straeucher gepflanzt, welche eine natuerliche Grenze zur naechsten Huette bot, die durch das ueppige und uebersatte Gruen oft nur zu erahnen war. Die Verbindungswege glichen einer Art Dschungelpfad, gesaeumt von Pflanzen aller Art und teilweise ueberdeckt, belebt mit Papageien, Schmetterlingen, Flamingos und Leguanen aller Groessen und Farben. Die Poolregion mit Bar in der Mitte, an der man entweder im Wasser stehend oder sich an Unterwasserstuehlchen festklammern konnte, wuerden wir zu meiden wissen in den naechsten zwei Wochen. Hier fanden sich Menschen aller Art, flirtend und feiernd, groelend und lallend, die durchaus schon mal ein warm gewordenes Bier ins Wasser kippten, oder ihrer Blasenfuellung den Weg in die Freiheit ermoeglichten, ohne etwa den beschwerlichen Weg – immerhin etwa 30 Meter - zur naechsten Toilette antreten zu muessen.
Unsere Vorstellung von Urlaub und Erhohlung war eine andere: Wir wollten tauchen, tauchen im zweitgroessten Riff der Erde, nach dem Great Barrier Reef in Australien, tauchen in einem Unterwasserparadies, welches schon Jacques Cousteau fuer seinen allerersten Unterwasserfilm im Jahre 1948 auserkoren hatte, tauchen mit Unterwasserschildkroeten, Haien, Barrakudas, Schmetterlings-, Doktor- und Papageienfischen, Moraenen und Zackenbarschen, Seeanemonen und unzaehligen Korallenarten, die sich im Hochgesang der Farben und Formen gegenseitig zu ueberbieten scheinen und einen Menschen mit seinen unzureichenden Hilfsmitteln und Instrumenten geradezu laecherlich unvollkommen und als duemmlichen Eindringling in einer Welt erscheinen lassen, die ihm immer noch fremd und teilweise unheimlich vorkommt.

Doch zunaechst zu den Vorbereitungen. Zugehoerig zum Resort gab es eine Tauchbasis, mit sechs Tauchlehrern aus fuenf verschiedenen Nationen, die sich durchweg alle als sehr erfahren und hervorragend ausgebildet herausstellen sollten. Der erste Tauchtag wurde gleich nach unserer Ankunft fuer den naechsten Tag geplant und gebucht. Danach flaetigten wir uns am Strand herum, zwischen Palmen, die den noetigen Schatten spenden sollten, schneeweissem Sand und tuerkisblauem Meer, dessen sanfte Wellen beinahe zoegerlich den Weg zum Strand suchten.

Begegnung
Wir treffen uns um kurz vor acht Uhr morgens an der Tauchbasis. Die ueblichen Fragen: Wie lange taucht ihr schon, wieviele Tauchgaenge, wo usw. Man erklaert uns, Tom, der deutsche Tauchlehrer, suche uns schon und wolle unbedingt mit uns sprechen. Ich bin einigermassen ueberrascht. Kurze Zeit spaeter stellt er sich vor und zieht uns zur Seite. Er habe ein Problem, es gaebe ein deutsches Ehepaar hier, das sich weigere mit Amerikanern zu tauchen. Es sei ein Segen, dass ich hier waere, und er habe endlich eine Gruppe fuer die Landsleute. Ich erklaere meine Frau sei Amerikanerin, und ich haette grundsaetzlich ein Problem mit solchen Leuten. Egal, Hauptsache, es sei ein Deutscher auf dem Boot. Dieser Gast und seine Frau seien da sehr empfindlich.
Wir finden uns schliesslich auf dem Boot ein und stellen uns gegenseitig vor. Da ist John aus Kalifornien, mit einem offenen, herzhaften Lachen, das mir gleich sympathisch ist. Mo aus Israel stellt sich vor, sehr zurueckhaltend, sehr nett und ruhig, sagt “Welcome aboard”. Ein Englaender, Robin mit seiner etwa 14-jaehrigen Tochter, schuettelt mir die Hand und laechelt gewinnend, seine Tochter tut’s ihm nach. Steve aus Canada gibt mir einen Klapps auf die Schulter, und endlich setzen wir uns achtern und warten bis das kleine Boot schliesslich ablegt. Erst dann registriere ich das Ehepaar, das sich etwa drei Meter abseits plaziert hat. Im Gegensatz zu allen anderen auf dem Boot sind beide erheblich uebergewichtig. In dem Moment als das Boot ablegt, steht er auf und will seine Ausruestung richten. Um ein Haar faellt er hin, seine Frau kann ihn gerade noch halten. Ich nenne ihn Sergeant Schulz (aus “Hogan’s Heroes”) – ihn Obelix zu nennen, obwohl sein auesseres Erscheinungsbild unweigerlich an jenen Gallierrecken erinnert, waere eine Beleidigung meines Helden. Unser Sergeant Schulz ist eine Karrikatur seiner selbst, eingezwaengt in seinen Tauchanzug wie eine Fleischwurst in ihrer Pelle, sitzt er auf dem kleinen, unbequemen Baenkchen, seine Pobacken verteilen sich gleichmaessig massig ueber die Flaeche, und seine Arme sind verschraenkt vor seiner flachen gelsenkirchener Brust, dabei eitel ruhend auf dem ueberdicken Bauch. Sein Blick verraet die Groesse des in allen Belangen ueberlegenen Kolonialherren. Er beobachtet seine Tauchkameraden mit geradezu hoehnischem Blick, so als schaue er angewiedert aus Gelsenkirchen auf all die seiner Persoenlichkeit und Grazie unwuerdigen Moechtegern-Tauchfetischisten herab. Das ist er also, der Tauchmessias aus deutschen Landen, der den anderen Tauchnationen das Fuerchten lehrt – ich bin begeistert! Seine Frau, etwas kleiner als er, aber nicht weniger massig, schaut verloren gen Horizont

Nach etwa zwanzig Minuten stopt das Boot – Briefing vor dem Tauchgang: Stroemung, Tiefe, Anweisung des Instructors die Gruppe nicht zu verlassen, die ueblichen Zeichen unter Wasser, Dauer etwa 50 Minuten, drei Minuten Dekompression auf fuenf Metern. Alle haben verstanden, Sergeant Schulz und seine Frau nicht. Das ganze noch einmal in deutsch, danach geht’s endlich los. Alle sind fertig zum Sprung ins Wasser, Sergeant Schulz hat Probleme mit seiner BCD, die er nicht anbekommt. Rebecca, bereits fertig aufgeroedelt, watschelt zu ihm herueber und hilft ihm hinein. Er schaut sie nur an, sagt aber nichts. Sie guckt zu mir herueber, zuckt mit den Achseln, ich signalisiere ok und springe ins Wasser. Die Gruppe wartet auf unsere Deutschen. Sie verliert die Maske beim Sprung, Tom rettet sie. Er springt als letzter, plumpst ins Wasser wie eine Weltkriegsbombe, und taucht wieder auf, die Brille bereits beschlagen. “Kamera vergessen!” hechelt er; er muss wieder aufs Boot. Der Bootsfuehrer hilft ihm an Deck – ein Schauspiel, das allein schon filmreif ist. Wir duempeln noch ca. drei Minuten an der Oberflaeche, bevor Sergeant Schulz zum zweiten Mal ins Wasser plumpst, aehnlich dem ersten Aufschlag. Endlich geht’s hinunter, zunaechst nur auf 18 Meter. John, Steve und Mo erweisen sich als Tauchveteranen, was sogleich ersichtlich wird nach ein oder zwei Minuten unter Wasser. Alle drei gleiten ruhig dahin, mit nur den notwendigsten Bewegungen, allesamt perfekt austariert. Robin, der Englaender, braucht etwas laenger um herunterzukommen, hat aber dabei staendig seine Tochter im Auge, die ebenfalls fuer ihr Alter schon sehr erfahren und sehr ruhig wirkt. Rebecca gleitet in perfekter Koerperhaltung, laesst sich von der Stroemung tragen. Als ich mich umdrehe, sehe ich gerade noch, wie Sergeant Schulz am Boden ankommt – mit der Flasche zuerst. Seine Frau haengt im Wasser wie ein Fragezeichen, mit viel zu schnellem Abwaertstrend. Sie laesst Luft ins BCD, was sie gleich wieder nach oben an die Wasseroeberflaeche befoerdert. Tom steigt wieder auf, zieht sie mit sich, versucht sie auszutarieren. Inzwischen hat sich Sergeant Schulz aufrecht hingesetzt und versucht vom Boden wegzukommen. Dabei benutzt er seine Haende und wirkt wie ein verendender Schmetterling. Es gelingt ihm schliesslich halbwegs, sich vom Boden zu befreien, dabei jede Menge Sediment aufwirbelnd.

Wir naehern uns dem Korallenriff. Jeder ist bemueht, nichts zu beruehren, sondern den Anblick zu geniessen, als Besucher, als unbeteiligter, staunender Betrachter in einem perfekt abgestimmten Oekosystem, in dem jeder Einzeller, jeder einzelne Fisch, jede lebende Kreatur ihre oekologische Nische besetzt und als kleiner Teil zu einem funktionierenden, faszinierenden grossen Ganzen beitraegt. Die Vielfalt an buntem Leben und Treiben erstaunt immer wieder neu. Meine Kameraden gleiten langsam und kontrolliert mit der Stroemung. Rebecca verschwindet in einem Schwarm von Blaustreifen-Schnappern. Ploetzlich bekomme ich einen Schlag auf den Hinterkopf. Ich drehe mich um und kann gerade noch einem zweiten Schlag von Schulzes Schwimmflosse ausweichen. Er landet auf einer Koralle unter mir. Tom eilt heran und ist ausser sich. Er zeigt unmissverstaendlich, was er von einem solchen Akt haelt. Eine Koralle solchen Ausmasses benoetigt etwas 150 Jahre um zu ihrer vollen Groesse zu gelangen. Diese unter mir ist zwar nicht zerstoert, jedoch erheblich verletzt. Schulzes Frau segelt geradewegs von oben auf sie zu. Ich packe sie gerade noch rechtzeitig und ziehe sie weg. Sie schaufelt sich einen Meter hoeher, ich versuche zu entkommen.
Wir erreichen eine Art Unterwasserportal, dessen Eingang gerade gross genug fuer einen Taucher normaler Groesse und Umfang ist. Auf der anderen Seite eroeffnet sich ein tiefes Blau, das ins Unendliche abzugleiten scheint. Hier beginnt die Tiefsee, im wahrsten Sinne des Wortes, laesst den Kontinentalrand mit seinem faszinierenden Grottensystem hinter sich - und Sergeant Schulz. Er bleibt im Portal haengen, seine Frau versucht’s garnicht erst. Tom und Mo ziehen ihn wieder heraus, natuerlich auf der Eingangsseite und mit einiger Anstrengung. Kurze Zeit spaeter versucht er, einen am Boden sitzenden stattlichen Zackenbarsch zu fotografieren. Allerdings sinkt er so schnell auf ihn herab, dass dieser unweigerlich das Weite sucht. Das Blitzlicht geht ins Leere, und die deutsche Antwort auf Jacques Cousteau schlaegt zum x-ten Male auf.
Nach ca. 25 Minuten ist der Schulze-Spuk vorbei. Beide muessen auftauchen in Ermangelung ausreichender Atemluft. Tom haelt die Signalboje, waehrend er ruhig weitergleitet. Unsere beiden deutschen Tauchexperten sollten zur Dekompression fuer etwa drei Minuten in einer Tiefe von etwa fuenf Metern verweilen, bevor sie schliesslich auftauchen. Stattdessen versucht sich Sergeant Schulz an der Leine festzuhalten, die Tom zwangslaeufig ruckartig nach oben katapultiert. Seine Reaktion ist entsprechend. Irgendwann ist dann die Karibik befreit von den beiden Filigrantauchern, und der Rest der Gruppe geniesst den vormittaeglichen Tauchgang. Eine stattliche Meeresschildkroete zieht vorbei ohne uns zu beachten oder gar ihre Richtung zu aendern. Rebecca hat einen mittelgrossen Blacktip Hai entdeckt, den sie aufgeregt anzeigt. Der Fisch gleitet ruhig und gewandt dahin, und auch er scheint uns nicht wahrzunehmen. Ein kleiner Schwarm von zebragestreiften Pilotfischen begleitet ihn. Wenig spaeter sehen wir fuenf Barrakudas, silbrig glaenzend im Wasser stehend und anscheinend auf Beute wartend. Wir gleiten ruhig vorbei, als Tom das Zeichen zum auftauchen gibt. Ich schaue auf meine Uhr, 51 Minuten unten, kaum zu glauben wie hier die Zeit verfliegt.

Zurueck auf dem Boot herrscht Hochstimmung, alle sind zufrieden, bis auf Tom, den Tauchlehrer, der noch immer an der verletzten Koralle zu knabbern hat. “Bloeder Idiot” zischt er beinahe nicht hoerbar, als er mir den Bleigurt abnimmt. Sergeant Schulz isst bereits Papaya und Melone, und will angeblich einen Bullenhai gesehen haben. Dann setzt er sich zu mir herueber. “Ich tauche eigentlich nicht mit diesen Amis, die haben alle keine Ahnung. Wo bist Du denn zertifiziert?” Ich sage “Urspruenglich mal CMAS.” “Aha”, sagt er mit erhobenem Zeigefinger, “wir natuerlich auch. Es gibt also doch noch ein paar Vernuenftige unter uns.” Ich setze mich sogleich rueber zu John, dem Amerikaner, der bereits mit Rebecca plaudert.

Namen geaendert